Haben manche wieder mal nichts gewusst?

Zur Aufsehen erregenden Recherche von CORRECTIV zu den Machenschaften der rechtspopulistischen AfD stand der (nach Marcus Lanz) „brillante Investigativreporter“ Marcus Bensmann am 9. Juli in Köln dem Kölner Journalisten Christian Werthschulte Rede und Antwort. Wegen der enormen Anzahl von Anmeldungen musste in einen größeren Saal der Karl-Rahner-Akademie gewechselt werden. Auch dieser Saal war überbesetzt. „Niemand kann sagen, er hätte nichts gewusst“ heißt der bedeutungsvolle Titel seines Buches, das seit Erscheinen hohe Wellen schlägt und unzweideutig einen Bogen zu unserer faschistischen Vergangenheit schlägt. Es ist noch nicht zu spät, dieses Buch zu lesen.

Rechtes Geheimtreffen – und die Folgen für die AfD

Begonnen hatte es mit einem Bericht über ein „Geheimtreffen“ am 25. November 2023 in Potsdam von Mitgliedern der AfD und Gesinnungsgenossen, die sich aus der EU verabschieden und sich Diktaturen wie China oder Russland zuwenden wollen. Die Demokratie soll „von innen ausgehöhlt werden“, heißt es im Pressetext des Galiani-Verlages Berlin. Es geht letztlich um nicht weniger als die Abschaffung von Grundwerten und die Schleifung des Völkerrechts. Nach Bekanntwerden des AfD-Treffens gingen Millionen Menschen gegen AfD und Rechtsruck auf die Straße. Die Folgen dieses Treffens begleiten uns in die nächsten Wahlen.

Remigration heißt Vertreibung

Bekannt wurde die Forderung nach „Remigration“ (sprich: Vertreibung oder Ausweisung) von ca. 25 Millionen Menschen in Deutschland mit ausländischen Wurzeln, aber auch deutschem Pass, die vom Europaabgeordneten Maximilian Krah 2023 in seinem „Manifest“ als erklärtes Ziel und als Jahrzehnteprojekt ausgegeben wurde. Krahs „rassistisch-genetischen Thesen“ (Die Zeit v. 23.2.24) gab der Verlag Antaios als „weltanschaulich fundierte Alternative“ aus, folgten damit allerdings einem 300 Jahre altem, längst überholten völkischem Nationalismus, Chauvinismus, Isolationalismus und einer Ausländerfeindlichkeit und Aufklärungsverachtung. Nach der griechischen Mythologie verspeiste der Riese Antaios seine Einwohner und vertrieb die Fremden. Für unsere Republik ein drohendes Omen? Das entspricht nicht dem Parteiprogramm der AfD, so Benzinger, ist aber Gedankengut in der Partei. Und Papier ist bekanntlich geduldig.

So nennt Marcus Bensmann die fragwürdigen „Vordenker“ dieses Wahnsinns beim Namen, wie zum Beispiel den Österreicher Rechtsextremen Martin Sellner (identitäre Bewegung) oder den Verleger und Vordenker der Neuen Rechten Götz Kubitschek oder auch seinen Kooperationspartner Jürgen Elsässer vom rechtsextremen Netzwerk „Ein Prozent“, der seit 2016 für die AfD mit seinem rechten Wahlkampfmagazin „Compact“ unterwegs ist.

Als Freunde im „Klub der Despoten“ von Russland und China

Ins Bild der rechtsextremen AfD passt dann auch ihre Sicht auf Diktaturen wie Russland oder China mit der Verabschiedung von der westlichen Bindung. „Die Westbindung mit den USA garantierte Deutschland und Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg Demokratie und Wohlstand“, schreibt Bensmann in seinem Buch. Der AfD schwebt eine multipolare Welt vor, in der allerdings weltweite militärische Grenzverschiebungen zur Bedrohung werden, weil der ordnende Faktor fehlt. Das gleiche Narrativ geopolitischer Verirrungen bedient das BSW von Sarah Wagenknecht. Die Diskussion um das Europaprogramm der AfD von 2014 zeigt, dass die Anhänger der Westbindung kaum mehr Einfluss haben“. Wer diese Probleme nicht sieht, ist geopolitisch heillos blind. Und „der Feind der AfD sind nicht nur die USA, sondern auch die EU“, so Bensmann weiter. Hinzu käme der AfD-Kampfbegriff „Eurasien“. „Gemeint ist nicht nur Landmasse von Lissabon bis Wladiwostok…, sondern meint (dies) ein Europa unter russischer Dominanz“. Maßgeblich für die Ideenentwicklung ist Putins Einflüsterer und Extremist Alexander Dugin. Noch am 16.4.24 warnten europäische Premiers vor der Europawahl vor russischer Einflussnahme, ebenso im Spiegel vom 26.07.24. Aktualisierung am 25.08.: Wie verurteilte Hassprediger und Rechtsextremisten die AfD mit Hilfe von tiktok unterstützen weist erneut Correctiv nach.

Ergänzung: Am 6. Juli 2024 berichtet der Spiegel unter dem Titel „Operation Angst“ über ein Datenleck des russischen Auslandsgeheimdienstes, wie der Kreml durch Neidkampagnen gegen ukrainische Flüchtlinge oder bezahlte Demonstrationen in Europa die öffentliche Meinung in Deutschland manipuliert.

Brainwashing durch die AfD

Marcus Bensmann analysiert sehr detailliert die „radikalisierte AfD und ihre Beziehungen zu China, Syrien und dem Iran“ und die „Entgrenzung“ einer der Öffentlichkeit vorgespielten harmlosen Partei. Er beschreibt ihre Manipulationen und Propaganda über die sozialen Medien, insbesondere über Tiktok und ihr Brainwashing besonders an Jugendlichen. Er berichtet über die Entwicklung dieser rechtsextremen Partei und ihre Spendenaffären. Und er thematisiert die politischen Kräfte, die ihr – unfreiwillig – Nahrung bieten, zum Beispiel aus „woker Überdrehtheit“.

Am Ende des Buches lässt Bensmann die Leserinnen und Leser nicht allein, sondern bietet – aus seiner Sicht – mögliche Lösungen an, wie das Schlimmste zu verhindern ist. Und gibt auch den Aussteigern aus der AfD eine Chance, die noch zur Besinnung kommen können.

Der Rechtsruck bei Wahlen in Europa, oder in Italien, Frankreich, den Niederlanden und bereits zuvor in Ungarn machen eine Gefahr deutlich, der sich auch diese Republik in diesem und nächstem Wahljahr bewusst sein und dringend stellen muss. „Niemand kann sagen, er hätte nichts gewusst“ wird spätestens nach diesem Buch mehr als klar werden.

Marcus Bensmann ist Reporter des gemeinwohlorientierten, unabhängigen Recherchenetzwerks CORRECTIV. Das beschreibt sich so: „Wir lösen öffentliche Debatten aus, arbeiten mit Bürgerinnen und Bürgern an unseren Recherchen und fördern die Gesellschaft mit unseren Bildungsprogrammen.“

Bei den Fotos handelt es sich um Aufmärsche russischer Nationalisten und Extremisten in Hamburg und Köln. In der Veranstaltung von 2023 mit dabei: Der Leverkusener Rechtsextremist Markus Beisicht.

Niemand kann sagen, er hätte nichts gewusst

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Titel: Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst:
Die ungeheuerlichen Pläne der AfD
Autor: Marcus Bensmann, CORRECTIV
Herausgeber: Galiani-Berlin; 1. Edition (4. Juli 2024)
Sprache: Deutsch
Broschiert: 256 Seiten
ISBN-10: 3869713119
ISBN-13: 978-3869713113
22,00 Euro

 

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