„Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften!—Die traurigen Geschäfte; und man beneidet uns noch!—Das glaub ich; wenn wir allen helfen könnten: dann wären wir zu beneiden.“ So sinniert in Ephraim Lessings Emilia Galotti der Prinz über Briefen und Bittschriften, die er nicht erfüllen kann.
So könnte auch das Klagelied bundesdeutscher Bildungspolitiker beginnen, die vielen Kindern kein gutes Bildungssystem mehr bieten. Oder zum Scheitern verurteilt sind, reformunwillig oder -fähig gegen den alten Bildungsmoloch? Seit Jahren eingepresst zwischen Sparhaushalten und neoliberaler Schuldenbremse, Coronapolitik, Klimakrise und Kriegsgeschehen scheint die Bildungspolitik die Zukunft unserer Kinder zu gefährden und damit die Zukunft des Landes.
Doch „Die Bildungspolitik befindet sich im freien Fall“ befindet der Bildungswissenschaftler Tim Engartner aus Köln sein Buch „Raus aus der Bildungsfalle“. Er seziert das marode Bildungssystem und erneuert – ja verschärft – seine Kritik an unserem System Bildung, das immer mehr die Schwachen „durchfallen“ lässt. Sei es die heruntergekommene Infrastruktur in den Schulen, geschlossene Sportplätze und Schwimmbäder, eingeschränkte Bildungsangebote, schlechtes Schulessen, vernachlässigte Integration oder überforderte Lehrerinnen und Lehrer. Wie nirgendwo in Europa hängt die Bildung davon ab, wo und in welche Familie ein Kind geboren wird.
Viele Kinder, die in die Schule kommen, können nicht einmal einen Bleistift halten, geschweige denn, dass sie genügend Lernerfahrung aus Vorschule und Kita mitbringen. Stattdessen der Aufwuchs von teuren Privatschulen und Eliteeinrichtungen zu Lasten breiter Bevölkerungsschichten. Gefahr droht auch durch die vorangetriebene Digitalisierung in den Schulen, beispielsweise durch Appel oder Microsoft in einer Zeit, in der andere Länder damit längst wieder aufhören, weil sie die damit verbundenen Probleme erkannt haben.
Engartner verzichtet bewusst auf eine wissenschaftliche Darstellung, sondern legt Wert auf Allgemeinverständlichkeit für die „bildungsinteressierte Öffentlichkeit“ um auf die „Baustellen der Bildung“ hinzuweisen.
Am Ende würde dem Buch Leben fehlen, wenn Engartner nicht auch Vorschläge zur Verbesserung machen würde. Er stellt 10 Forderungen für eine Renaissance der Bildung auf. Allen voran der Engpasssektor Finanzierung. Denn mit 5,1 Prozent am BIP befinden wir uns in Europa lediglich auf Platz 10. Zudem könnte ein gutes Bildungssystem mit dem Ausbau von mehr Bildungsangeboten und ausreichend ausgestatteter und ausgebildeter Lehrerschaft präventive Sozialpolitik bedeuten, auch ohne „Humankapitalansatz“. Hier eine Aufzeichnung der Veranstaltung vom 9. Oktober 2024.
Tim Engartner ist Professor für Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln und Mitglied im Direktorium des Interdisziplinären Zentrum für empirische Lehrer*innen- und Unterrichtsforschung.
Eine Veranstaltung des GK Bildungspolitik in Kooperation mit dem Rosa-Luxemburg-Gesprächskreis Sülz-Klettenberg und Der andere Buchladen GmbH.
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Tim Engartner
Raus aus der Bildungsfalle
Erschienen im Westend-Verlag
Erscheinungstermin 22.09.2024
Einbandart kartoniert
Seitenanzahl 240
ISBN 9783864894527
25,00 €
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