Fotografische Spurensuche

Seit 2015 war Susanne Eschrich auf Spurensuche zu ihrer durchaus komplizierten Familiengeschichte. Sie wuchs bei ihrer Großmutter auf. Auslöser war eine Fotoausstellung „August Sanders unbeugsamer Sohn“ im Jahr 2015 im NS-Dokumentationszentrum Köln, auf der eine Fotografie ihres Großvaters, des „Steinmetz“ Johann Loosen, ausgestellt war. Sie stammte von dem legendären Fotografen August Sander. Davon in Bann gezogen entstand die Initialzündung für die Suche nach der Geschichte ihrer Mutter Inge Jansen. Denn es gab noch einen weiteren Zusammenhang: Inge Jansen absolvierte ab Juni 1953 zwei Jahre lang eine Fotografenlehre bei August Sander. Ihrer Zeit mit ihm ist eine Fotoausstellung mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen gewidmet.

Bei der Suche nach der Vergangenheit unterstützte sie Gerd Sander, Sohn von August Sander und der Kölner Historiker Dr. Fritz Bilz. Informationen, die Susanne Eschrich von ihrer Mutter zu Lebzeiten leider nie bekam. Verschwiegene Geschichte in vielen Familien. „Über diese Schiene bekam ich Informationen, dass mein Uropa über 20 Jahre lang in sehr engem Kontakt mit August Sander stand und dass mein Uropa Freund und Kampfgenosse von Erich Sander war“, so Susanne Eschrich. Weiter nach den Bildern!

Die Nazizeit

Nach Drangsalierungen durch die NAZIS zog sich August Sander 1944 nach Kuchhausen bei Leuscheid zurück und blieb dort bis 1963. Seit 1952 half Inge Jansen ihm in durchaus familiärem Umfeld bei seiner Arbeit, mit eigenem Zimmer unter dem Dach. 1950 bis 1952 absolvierte sie eine Ausbildung als Fotolaborantin bei den Leonar-Werken in Hamburg-Wandsbeck. Das half sicher auch bei der Assistenz von Sanders Lebenswerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“. Offenbar genoss sie die Zeit bei August und Anna Sander und beschrieb dies als ihre glückliche Zeit. Danach arbeitete Inge Jansen von 1966 bis 1996 als Fotografin und Laborantin beim Kölner Stadtanzeiger und dem Express. Original-Fotografien und Abzüge von August Sander wie auch ihre eigenen oder Zeitungsausschnitte bis 1971 wurden von ihr wie ein Augapfel gehütet und in der Volksbank Köln-Bonn in einem Safe untergebracht.

Es waren an die 80 Negative mit August Sander und der Umgebung von Kuchhausen. Ein einziges Foto von ihr hängt im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Da Inge Jansen Aufnahmen sonst nie veröffentlicht hatte, ermöglicht dies nun ihre Tochter im Rahmen einer Ausstellung. Sie beginnt am 13. Oktober 2024 von 10:30 h bis 18:00 h im Gemeindehaus Leuscheid. Unverkennbar hat sie bei ihrer Sicht auf die Dinge von dem großen Meister August Sander profitiert.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Autor dieses Beitrags und seine Ehefrau mit Inge Jansen viele Jahre nachbarschaftlich verbunden waren und sie während ihrer schweren Erkrankung mit Einkäufen und Putzarbeiten unterstützt. Erinnerungswürdig ist das gemeinsame Kochen Grüner Bohnensuppe mit reichlich schwarzem Pfeffer, den Inge kiloweise aus ihrem geliebten Urlaubsland „Ceylon“ mitgebracht hatte. Als Anerkennung dafür erhielten sie zwei Kameras, eine Rolleiflex 6×6 und eine Rolleiflex SL 35, mit denen sie so gern fotografiert hatte.

Ein Schritt zurück

Ein weiterer Blick in die Vergangenheit ist zwingend. August Sander gründete Anfang der 1920er Jahre mit anderen die Künstlergruppe „Kölner Progressive“. Seine erste Publikation „Antlitz der Zeit“ entstand 1929 und wurde unter den Nationalsozialisten verboten. Sein Lebenswerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ konnte er in dieser Zeit nicht mehr veröffentlichen. Früh beteiligte sich sein Sohn Erich mit eigenen Aufnahmen an der Arbeit seines Vaters, vor allem aber als Zuchthausfotograf während seiner Inhaftierung im Zuchthaus Siegburg, in denen er „erkennungsdienstliche Aufnahmen“ fertigen musste. In der Veröffentlichung zu einer Ausstellung Mémorial de la Shoah in Paris 2018 hieß es: „Es sind würdevolle Porträts von Männern und Frauen, die Opfer einer menschenverachtenden Ideologie wurden und nun entgegen aller faschistischen Bemühungen, sie aus der Sichtbarkeit zu verbannen, ihren rechtmäßigen Platz unter den «Menschen des 20. Jahrhunderts» einnehmen.“

Erich Sander wurde am 11. September 1934 von Gestapo-Beamten verhaftet. Und mit ihm und 16 weiteren auch Johann Loosen, Susanne Eschrichs Großvater. Während sich Erich Sander maßgeblich am Aufbau der Sozialistischen Arbeiterpartei SAP ab 1933 und dem Vertrieb der Zeitschriften „Banner“ und „Arbeiterkampf“ mit „hochverräterischen Natur“ beteiligt hatte, verteilte Johann Loosen die Zeitschriften für lediglich ein knappes Jahr. Nach Auffassung des Gerichts enthielten diese auch „Umsturzpläne“- bis hin zu einer „Arbeiterdiktatur“. Loosen allerdings konnte eine „Beeinflussung der Massen“ nicht nachgewiesen werden. Er ließ sich ein Jahr später in die „Arbeitsfront“ einreihen. Offenbar war hier seine ständige existenzielle Not und seine Kriegsversehrung aus dem 1. Weltkrieg für die vergleichsweise geringe Strafe ausschlaggebend.

Die Urteilsbegründung lautete unter anderem: „Wegen Vorbereitung zum Hochverrat hat der IV. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 31. Mai 1935 für Recht erkannt…Johann Loosen, 47 Jahre, 2 Jahre Zuchthaus,…Erich Sander, 27 Jahre, 10 Jahre Zuchthaus“. „Seine Strafe musste hoch ausfallen. Denn er ist offenbar der Kopf der SAP gewesen“, so das Gericht. Und: „Dazu kommt, dass er studiert hat“. (sic!)

Die SAP hatte sich 1933 zur Aufgabe die “Wiedererneuerung der Arbeiterbewegung auf dem Boden der revolutionären Grundsätze” gemacht. Aufgrund von Massenverhaftungen löste sich das Bündnis auf und wurde unbedeutend. Viele Abzüge und Negative der Fotos und lange, unzensierte Briefe konnte er aus dem Gefängnis schmuggeln und so den Kontakt zu seinen Eltern aufrecht erhalten. Im März 1944 starb Erich Sander in der Haft, ein halbes Jahr vor seinem Haftende unter unerträglichen Schmerzen vermutlich an einer Blinddarmentzündung und infolge unterbliebener Hilfeleistung. Johann Loosen verstarb am 24.1.1964 an einem Hirntumor.

Weiter Infos:

August Sanders unbeugsamer Sohn: Erich Sander als Häftling und Gefängnisfotograf im Zuchthaus Siegburg 1935–1944 (Veröffentlichungen des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln
Herausgeber : Metropol-Verlag (20. Oktober 2015)
Gebundene Ausgabe : 288 Seiten
ISBN-10 : 9783863312626
ISBN-13 : 978-3863312626
24,00 Euro

Diesen Menschen hat man mir totgeschlagen: Briefe aus Gestapohaft und KZ
Herausgeber : Emons, H J (1. September 1999)
Sprache : Deutsch
Broschiert : 240 Seiten
ISBN-10 : 3897051605
ISBN-13 : 978-3897051607
8,80 Euro

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