Annette Deeken: August Sander – eine fotografische Lebensgeschichte

Anna und August Sander

Es ist schon erstaunlich, dass für den weltberühmten Photografen August Sander (17.11.1876–20.04.1964) bisher niemand eine Biografie zustande brachte. Eine kürzere Zusammenfassung gibt es zum Beispiel bei Wikipedia. Auch die Stadtsparkasse Köln, die mit der „SK-Stiftung Kultur“ sein fotografisches Erbe verwaltet und den „August-Sander-Preis“ auslobt, widmet sich ihm nur übersichtweise.

Das ist noch schwieriger zu verstehen, wenn man weiß, dass seit den 1920er Jahren die bekanntesten Künstler und Intellektuellen der Zeit das Wirken von August Sander prägten und sich bei ihm als Künstlergruppe „Kölner Progressive“ in der Dürener Straße 201 in Köln ein Stelldichein gaben, um neue Wege der Kunst in links-intellektueller Atmosphäre zu diskutieren, zum Beispiel um die Menschen und ihre Sozialstrukturen zu dokumentieren.

Endlich: Eine Biografie ist in Sicht

Zu der am 1. Oktober 2024 erschienen Biografie kritisierte die berühmte Kölner Fotosammlerin Renate Gruber im Jahr 2022: „Das wird aber auch mal Zeit, dass jemand eine Biographie über ihn schreibt“. Dies bemerkte sie kurz vor ihrem Tod gegenüber Prof. Dr. Annette Deeken, die nun diese Lücke geschlossen hat. Renate Gruber konnte noch das Vorwort verfassen.

Auf 400 Seiten, 18.4 x 22.8 cm, 130 Abbildungen und Fotos und über einem Kilogramm Buch in bester Fotoqualität, erschienen im Kunstblatt Verlag Dresden, nähert sich Annette Deeken hervorragend recherchiert und emphatisch dem verschlossenen, durch Nazizeit, Krieg und familiäre Verluste am Ende seines Lebens ernst und still gewordenen, gezeichneten August Sander. Sein Sohn Erich, mit fotografischem Erbe, kam 1944 im Gestapo-Gefängnis Siegburg um.

In Wahrheit ist keine trockene Biografie entstanden, sondern ein spannender lebensgeschichtlicher Roman über das Schaffen eines großen Fotografen, der Leserinnen und Leser auch gleich in die Geschichte Deutschlands hineinzieht.

Schwierige Recherche

Warum das aber nicht einfach war; dazu Deeken: „Ohne Gerd (Anm: Enkel Gerd Sander, 1940-1922) hätte ich diese Biografie nicht schreiben können. Er hat so viele Ideen gegeben“. Denn „man muss sich klarmachen, August Sander war Fotograf. Und im Unterschied zu Thomas Mann, der jeden Tag akribisch festgehalten hat, wann und was er gegessen hat, hat August Sander keine Tagebücher hinterlassen und wenige Briefe, aus denen Persönliches hervorgeht“, so auf der Lesung am 13. Oktober 2024. Das zeigt, wie schwierig Recherche und Aufwand zu diesem Buch waren.

Der Vater von August Sander war gelernter Grubenzimmerhauer, „ein Wort, das die Chinesen neulich versucht haben zu übersetzen, das war etwas kompliziert. Er war einfach Bergmann“. Die Familie hatte acht Kinder „mit allgegenwärtiger Armut“. Aufgewachsen im Dorf Kuchhausen im Westerwald und einer Schulzeit mit 100 Kindern und einem Lehrer, abseits der „großen Welt“ „fuhr“ August Sander später als Hilfsarbeiter für vier Jahre in die Grube ein. Mit knapp 21 Jahren siedelte er nach Trier um, und sein Leben änderte sich fundamental. Deshalb beginnt Annette Deekens Biografie in Trier damit: „was hat er dort gesehen, wen hat er kennen gelernt“. Seine fotografische Entwicklung begann als Postkarten- und Portraitfotograf. Als „Lichtbildner“ arbeitete er seit 1910 über 30 Jahre in Köln.

Kunstgriff für die Fotografiegeschichte

Im Jahr 1927 wurde Sander als herausragender Fotograf mit seinem Porträtwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ erstmals bekannt. Die Nazionalsozialisten verfügten einen Stopp der Ausstellung und zerstörten seine Druckstöcke.

Zu seinen unvergesslichen Werken zählen unter anderem „Antlitz der Zeit“ (1929), „Bergisches Land“ (1933) und weitere Landschaftsaufnahmen, sowie zahlreiche posthum herausgegebene Werke. Sander bildete zahlreiche Auszubildende aus, darunter Inge Jansen, die einen Augenzeugenbericht liefert. Sander zählt zu den 10 teuersten Fotografen der Welt.

Annette Deekens Sander-Biografie ist ein Kunstgriff für die Fotografiegeschichte und nicht nur für Fotobegeisterte mit Spannung zu lesen. Empfehlenswert!

Prof. Dr. Annette Deeken studierte Geschichte und Germanistik, war zehn Jahre Kulturredakteurin bei der FAZ, 25 Jahre Professorin an der Universität Trier mit dem Schwerpunkt Film- und Fotogeschichte. Es existieren zahlreiche Veröffentlichungen.

Als Ergänzung zu empfehlen ist der Dokumentarfilm von Pavel Schnabel “Hommage à August Sander” anlässlich der Oberhausener Kurzfilmtage von 1977. Er erhielt das Prädikat “besonders wertvoll”. Mehr dazu hier!

Der Film kann für 10 Euro nebst 3 Euro Versandkosten hier bestellt werden:

Pavel Schnabel Filmproduktion
Herbartstraße 32
60316 Frankfurt am Main
E-Mail: pavel.schnabel@t-online.de

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Titel: August Sander, Biografie
Autorin: Annette Deeken
Herausgeber ‏ : ‎ KUNSTBLATT Verlag Dresden; Erstauflage (1. Oktober 2024)
Sprache ‏ : ‎ Deutsch
Taschenbuch ‏ : ‎ 400 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3982016347
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3982016344
Abmessungen ‏ : ‎ 18.4 x 3 x 22.8 cm
Preis: 29,95 Euro

 

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